Das Cynefin Framework ist ein Modell zur Einordnung von Aufgaben, Problemen und Situationen und unterstützt Entscheidungsfindung und Strategieplanung. Es handelt sich dabei um eine typologische Einordnung von Systemen.
Was ist das Cynefin Framework?
Ursprung des Modells
Das Modell stammt von dem Wissenschaftler und Unternehmensberater Dave Snowden. Das Wort stammt aus dem Walisischen und wird ungefähr „Kunäwin“ ausgesprochen. Es gibt zwar keine direkte Übersetzung ins Deutsche, jedoch bedeutet es soviel wie „Lebensraum“ oder „Herkunft“.
Das Ziel von Snowden war es, die evolutionäre Natur von Systemen zu verdeutlichen. Dazu stützt sich das Modell auf Ansätze aus der Kognitionswissenschaft, der Anthropologie, der evolutionären Psychologie und Theorien adaptiver Systeme.
Ursprünglich entwickelte Snowden das Modell 1999 als Modifikation des I-Space Modells nach Max Boisot, was sich vornehmlich mit der Struktur von Wissen befasst. Das Cynefin Framework hingegen erweitert dieses Modell von Wissensmanagement und übersetzte es in den Kontext von Organisationsstrukturen. Hierbei geht es vielmehr um die Komplexität bestimmter Systeme basierend auf dem vorhandenen Wissen.
Das Modell
Das Modell besteht aus fünf Feldern, in das sich Systeme, Probleme und Themen einordnen lassen.
Einfach
In diesem Bereich geht es um einfache Kausalketten, sprich „wenn-dann“-Beziehungen. Bei diesen simplen, offensichtlichen Zusammenhängen kann man sich gewöhnlich auf die „Best Practice“ verlassen, denn es geht um Routinen und Prozesse, die schon bekannt sind und wobei die Lösungen schon vorliegen.
Entscheidungen für diesen Bereich lassen sich oft leicht treffen. Genau so braucht es keine Experten für die Ausführung hier eingeordneter Aufgaben, da sich die einfachen Zusammenhänge schnell erschließen lassen.
Dieser Bereich ist durch folgende Vorgehensweise gekennzeichnet: Erkennen – Kategorisieren – Reagieren (Sense – Categorize – Respond).
Kompliziert
In diesem Bereich gibt es ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, allerdings ist dieser, wie der Name schon sagt, komplizierter. Es braucht hierfür also Expertenwissen, um Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen. Eine Vielzahl an Variablen sorgt dafür, dass Zusammenhänge nicht mehr linear beschreibbar sind und es zudem meist mehrere Lösungswege gibt.
Um die vorhandenen Informationen nutzen zu können ist eine Analyse notwendig. Der Austausch von Wissen und Erfahrung ist bei komplizierten Systemen zentral. Wichtig bei der Analyse des Problems ist es nicht in den Problemfokus zu verfallen, sondern gleichzeitig den Blick für die Zusammenhänge zu wahren. Eine Teamkonstellation aus Experten und Nicht-Experten ist optimal, um komplizierte Systeme zu bearbeiten. Es geht dabei um naheliegende Lösungen im Sinne einer „Good Practice“ nach Snowden.
Die Vorgehensweise hierbei ist: Erkennen – Analysieren – Reagieren (Sense – Analyse – Respond).
Komplex
In diesem Bereich werden Systeme und Probleme eingeordnet, bei denen die Zahl der Variablen soweit gestiegen ist, dass Analysen für mögliche Lösungen nicht mehr möglich sind. Das heißt in diesem Bereich sind Reaktionen auf Interventionen nicht vorhersehbar und es heißt „Trial-and-Error“.
In komplexen Systemen zeigt sich der Zusammenhang von Ursache und Wirkung immer erst nach der Handlung, sprich, ob es eine gute oder schlechte Entscheidung war. Komplexe Systeme erfordern stetige Kontrolle der Ergebnisse, Nachjustierung und erneutes Versuchen. Hilfreich nach Snowdens Einordnung ist es für komplexe Systeme die Perspektiven verschiedener Personen aus verschiedenen Bereichen einzuholen, die bei der Entscheidungsfindung nützlich sind.
Snowden beschreibt das Ziel als „Emergent Practice“ mit dem Vorgehen: Ausprobieren – Erkennen – Reagieren (Probe – Sense – Respond).
Chaotisch
In diesem Bereich gibt es zwar einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, nur lässt sich dieser nicht identifizieren. Stellen Sie sich diesen Bereich wie Fliegen auf Sicht im Nebel vor. Systemen in diesem Bereich fehlt Orientierung und Kontrolle, was sehr schnell Stress auslöst.
In solchen Situationen, in denen keine bekannten Strukturen wirken und noch keine neuen etabliert sind, ist direktes Handeln das Sinnvollste, da solche Situationen klassischerweise Notstand bedeuten. Es geht also darum, das System schnellstmöglich zu stabileren und anschließend sind die Vorgehensweisen komplexer und komplizierter Systeme wieder möglich.
Da es sich hierbei um eine „Novel Practice“ handelt, ist die beste Vorgehensweise: Handeln – Erkennen – Reagieren (Act – Sense – Respond).
Unklar
Ein letzter Bereich zur Einordnung von Systemen ist die Unklarheit (Disorder). Hier werden Systeme, Aufgaben oder Probleme eingeordnet, über die zu wenig Information besteht, als dass man sie einordnen könnte.
Die Verbindung der Bereiche
Die vier grundlegenden Bereiche sind miteinander verbunden. Das heißt, eingeordnete Thematiken können sich von einem ins benachbarte Feld verlagern. So können aus simplen Angelegenheiten durch neue Begebenheiten komplizierte werden. Oder durch das Wegfallen von Variablen werden aus komplexen Systemen komplizierte.
Der Übergang von Einfach zu Chaotisch ist allerdings nicht durch eine Wechselseitigkeit gekennzeichnet, sondern quasi als Einbahnstraße zu verstehen. Die scheinbare Sicherheit einfacher Aufgaben verleitet dazu, komplexere Zusammenhänge zu vereinfachen oder Veränderungen im System schier zu übersehen. Dann rutscht das System schnell von Einfach zu Chaotisch. Solche Veränderungen lassen sich in dem Fall nicht schnell rückgängig machen, sondern nur über die Felder Komplex und Kompliziert.
Wozu dient das Cynefin Framework?
Dieses Modell veranschaulicht die Kategorien, wie sich Wissen und Erfahrung auf die Lösungsstrategien für bestimmte Probleme auswirken. Entscheidungstreffende können so das Problem aufgrund der vorhandenen Wissensbasis einordnen und die passende Lösungsstrategie oder das beste Vorgehen bestimmen.
Besonders in agilen Unternehmensstrukturen bietet sich die Einordnung in das Cynefin Framework an. Zum Beispiel ist Scrum ein geeignetes Vorgehen für komplexe und komplizierte Themen, da es zur Vereinfachung und Strukturierung beiträgt. In komplexen oder chaotischen Bereichen hingegen ist Scrum wenig sinnvoll, weil es um das innovative Schaffen neuer Arbeitsabläufe geht. Prototyping bietet sich dafür beispielsweise eher an.
Es zeigt sich also, dass die Einordnung in das Modell dabei hilft, Entscheidungen zu treffen und effektives Arbeiten in Unternehmen unterstützt.
Sebastian Mauritz, M.A. Systemische Beratung, ist einer der führenden Resilienzexperten Deutschlands. Er ist 5-facher Fachbuchautor, Keynote-Speaker, Resilienz-Lehrtrainer, Systemischer Coach, Vorstand in vielen Coach- und Trainer-Verbänden und Unternehmer. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich individuelle Resilienz und Prosilienz®, resilienter Führung und Teamresilienz. Er ist Initiator des Resilienz-Online-Kongresses, in dessen Rahmen er sich mit über 50 weiteren Resilienzexpert:innen aus verschiedenen Disziplinen austauscht (www.Resilienz-Kongress.de).